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Bosnia and Hercegovina
History curricula and textbooks in Bosnia and Hercegovina - A Report of the Seminar of the Georg Eckert Institut in Cooperation with UNESCO in Sarajevo/Bosnien-Herzegowina (in German only)
Vom 5.-8. April 2001 luden das UNESCO Büro Sarajevo und das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung zu einem Seminar nach Sarajevo ein, das sich mit Curricula und Schulbüchern für das Fach Geschichte in Bosnien-Herzegowina befasste. Das Seminar war im Rahmen des laufenden Stabilitätspaktprojektes zur "Koordination der Schulbuchforschung, -entwicklung und des Schulbuchvergleichs in Südosteuropa" angelegt und wurde zusätzlich von der Deutschen UNESCO-Kommission mitfinanziert. Es richtete sich an LehrerInnen, SchulbuchautorInnen, HistorikerInnen und bildungspolitische Entscheidungsträger der Bildungsministerien und Pädagogischen Institute Bosnien-Herzegowinas. Zur Eröffnung sprachen Jacques Klein als Vertreter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen in Bosnien-Herzegowina, Matthias Sonn (Büro des Hohen Repräsentanten), Colin Kaiser (UNESCO Büro Sarajevo), Walter Hirche (Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission) sowie Wolfgang Höpken (Georg-Eckert-Institut).
Der erste Tag des Seminars wurde genutzt, um generelle Perspektiven und Probleme der gegenwärtigen Situation im Bereich des Geschichtsunterrichts zu diskutieren. Einleitend referrierten Dubravko Lovrenovic, Vizebildungsminister der Föderation sowie Stevo Pasalic, Vizebildungsminister der Republika Srpska. Dubravko Lovrenovic stellte vor allem aktuelle Probleme von Konzeption und Interpretation der Geschichtslehrbücher in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Stevo Pasalic betonte vor allem die Notwendigkeit des Beibehalts unterschiedlicher Schulbücher und Curricula. Der gegenwärtige Prozess der Harmonisierung der unterschiedlichen Bildungssysteme dürfe nicht Vereinheitlichung bedeuten. Wesentlicher sei künftig vielmehr, die Stärken, die aus der Unterschiedlichkeit der Bildungssysteme resultieren, bei gleichzeitiger verbesserter Koordination herauszuarbeiten.
Beide Ausführungen spiegelten damit wider, was heute auch von einer breiten Öffentlichkeit in Bosnien-Herzegowina getragen wird. Zwar zeigt eine unlängst veröffentlichte Umfrage unter Jugendlichen zunächst, daß eine Mehrheit für die Einführug eines einheitlichen Curriculums auf dem gesamten Landesterritorium ist.(2) Ein zweiter Blick in die Jugendstudie, der die Antworten nach der nationalen Zugehörigkeit der Befragten gliedert, belegt jedoch, daß zwar die Mehrheit der Bosniaken, jedoch nur ein marginaler Teil der befragten serbischen und kroatischen Jugendlichen in Bosnien-Herzegowina diese Frage bejaht.(3)
Auf dem Seminar wurde das Thema der Koordinierung der drei Bildungssysteme kontrovers diskutiert. Dabei konnte herausgearbeitet werden, daß es weniger das Vorhandensein dreier Bildungssysteme, als vielmehr deren Gleichsetzung mit drei "wissenschaftlich erwiesenen Wahrheiten" ist, die heute den Dialog um Geschichtsbücher so schwierig gestaltet. Nicht erst seit den 90er Jahren, dem Nachkriegsjahrzehnt in Bosnien-Herzegowina, wird jedoch "wisssenschaftliche Geschichtsschreibung" mit "objektiver Wahrheit" gleichgesetzt. Vielmehr wurzeln diese, heute freilich primär national ungedeuteten "objektiven Wahrheiten der Geschichte" bereits in den älteren Traditionen einer marxistisch geprägten Geschichtsschreibung aus der Tito-Ära.
Angeregt von Impulsreferaten zu Curricula- und Schulbuchentwicklung in Bosnien-Herzegowina wurde auf dem Seminar versucht, anhand konkreter historischer Themen an einem Vergleich der drei unterschiedlichen Bücher und Curricula zu arbeiten. Dabei zeigte sich freilich, daß kontroverse Themen leichter zu diskutieren sind, wenn der zeitliche Abstand zum Thema größer ist. So gelang bei der Frage der Darstellung der Osmanischen Epoche in Curricula und Schulbüchern eine anregende Diskussion. Die Thematisierung der zwei jugoslawischen Staaten dagegen gehört offensichtlich zu jenen Bereichen, deren Darstellung und Bewertung sich einer emotionsfreien Diskussion heute noch weitgehend entziehen. In den Lehrmaterialien aller drei ethnischen Gruppen spiegelt sich dieses Problem vor allem durch die "Abwesenheit" jugoslawischer Geschichte wider. Die Epochen der gemeinsamen Staatlichkeit werden primär nur aus der eigenen nationalen Perspektive wahrgenommen, wobei die eigene nationale Gruppe als historisches Subjekt oftmals zugleich auch als "Opfer" der gemeinsamen Staatlichkeit erscheint.
Trotz der zum Teil sehr kontroversen inhaltlichen Diskussionen zeigte das Seminar, daß gerade unter den jüngeren Generationen der Wille und die Bereitschaft wächst, die Vergangenheit aus weiteren als nur der nationalen Perspektive zu betrachten. Das Interesse an der Unterrichtsarbeit mit Quellen und Materialien zur Alltags- oder Kulturgeschichte steigt, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, daß bislang oftmals rein politikgeschichtliche Darstellungen die Lehrmaterialien dominieren. Das Aufbrechen der einen, nationalen Perspektive könnte langfristig so zu einem Geschichtsunterricht führen, in dem auch und gerade kontroverse Themen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Multiperspektivität im Schulbuch zu erreichen bedeutet dabei natürlich mehr als "nur" neue Schulbücher zu verfassen. Wie auf dem Seminar immer wieder betont, muß die Neuentwicklung von Curricula und Schulbüchern von einer intensiven Lehreraus- und Weiterbildung begleitet werden.
Auf dem Seminar wurde ein Entwurf zu Empfehlungen erarbeitet, die an die Bildungsministerien und die Pädagogischen Institute in Bosnien-Herzegowina gesandt werden sollen. Das Georg-Eckert-Institut bereitet in Zusammenarbeit mit dem UNESCO-Büro Sarajevo gegenwärtig die Publikation der Seminarergebnisse vor.
Heike Karge |